Anmerkungen von Christoph März zu Kunstkritikern

Autor: Karlheinz Weis


Der Pfarrer und Kirchenmaler Chr. März wandte sich in einer Broschüre die 1926 erschienen ist, den Kunstkritikern seiner Zeit auf seine typische Art zu und verfasste die folgenden Zeilen:


Unter Kritiker verstehe ich ich nicht die Fachleute, welche die Prinzipien und Techniken der Kunst studiert und ausgeübt haben, die also befähigt sind, ein Kunstwerk zu beurteilen, sondern Leute, welche von Kunst zwar nicht viel verstehen, aber desto eher sich berufen und berechtigt finden ein (meist ungünstiges) Urteil abzugeben; ihr Urteil bezieht sich meistens nur auf vereinzelte Kleinigkeiten ohne das Ganze zu berücksichtigen.


Über die in Eschfeld von mir gemalte Kirche sind hunderte von Kritiken abgegeben worden, ich habe sie mit Angabe der Namen aufgeschrieben; sehr günstig haben geurteilt u. a.: Akademiedirektor Arthur Kampf in Berlin,  Eduard von Gebhardt in Düsseldorf,  Professor Döringer und Gauer in Düsseldorf,  Direktor Lasius, Iserlohn und andere Fachleute.  Manche diese Autoritäten, die in meiner Abwesenheit hier waren, haben mir ungebeten ihre Kritik schriftlich (mit großer Begeisterung) zugesandt.


Was besagt nun das abfällige Urteil vereinzelter Nichtswisser, die nicht einmal einen geraden Strich von 3 Zentimetern malen können? Letztere Kritiker vergessen stets zu fragen:


1. Wie weit war der Künstler frei bei seiner Arbeit; hat der Auftraggeber keine Zumutungen gemacht, die den Kunstprinzipen widersprechen.


2. Was hat der Künstler für seine Auslagen und Arbeiten bekommen?


Nun noch einpaar Tatsachen:


Der Universitätsprofessor Dr. Küppers in Bonn, in dessen Atelier ich ein Semester modellierte und Figuren goss, sagte mir einmal: „Richten Sie sich nicht nach dem, was die Leute über Ihre Arbeit sagen; wenn mir ein Auftrag zu einem Denkmal gegeben wird, dann überlege ich wochenlang, sehe nach, wie andere diese oder ähnliche Aufgaben gelöst haben, auch befrage ich Sachverständige und schließlich gehe ich an die Arbeit; ist das Werk nun ungefähr fertig, dann kommt meistens einer hier herein und fängt nach vier Sekunden an zu tadeln“.


Über dem Hochaltar der Kirche in Binscheid habe ich Gott den Vater mit einem Barte dargestellt; Joh. F. aus R. sagte: „Der Bart ist zu lang“, am anderen Tag kam P. L. aus L und sagte: „Der Bart ist zu kurz“.


Von einer Figur der Eschfelder Kirche sagte M. A. aus B.: “Das ist eine abscheuliche Figur“. Vier Jahre später hat er eben dieselbe Figur als sehr schön gelobt.


F. aus L. sagte von einem Engel in der Eschfelder Kirche: „Diese Figur könnte von Michelangelo sein“. Zwei Monate später brachte er noch andere mit, um sie auf diese Figur aufmerksam zu machen; er hob den Arm um die Figur zu zeigen, ließ ihn aber enttäuscht niedersinken.


Jakob N. aus L. sagte, als er einer neu erbauten Kirche ansichtig wurde: „Ich verstehe nicht, wie man etwas so Missgeratenes dahin setzen kann“ – und machte weitere abfällige Bemerkungen. Ein Jahr später stieß ich mit eben demselben Jakob N. aus L. an eben derselben Stelle zusammen, er blieb stehen, erstaunt und entzückt über die wunderschöne und herrliche Kirche.


Acht Jahre habe ich mich vorbereitet auf die Kirchenmalerei in Eschfeld; dann ging ich mit großer Zaghaftigkeit 1906 ans Werk, ungewiss über das Gelingen. Ich hatte ja keinen Lehrer, keinen Berater, weit und breit in unserer Diözese auch kein Beispiel nach dem ich mich hätte richten können. In Bezug auf alte Malereien hat das Trierer Land nichts (nur dürftige Reste sind in Carden), während z. B. Köln so reich daran ist: Schwarzrheindorf, Brauweiler, St. Gereon, St. Maria Lyskirchen in Köln, dann die Diözesen in Norddeutschland, in Tirol, in Frankreich.
Weil ich nun so ganz allein vor meiner großen Arbeit stand, bat ich mehrmals Fachleute meine Arbeit begutachten zu wollen; niemand kam.


Im Mai 1909 besuchte mich unerwartet an einem Sonntagmittag ein Herr H. aus D. mit seinem 16-jährigen Sohne. Wir hatten gerade gegessen und ein wenig übrig gelassen. Meine Schwester Elisabeth bereitete ein neues Mittagessen und tischte Frankfurter Würstchen auf. Da sagte H.: „Wir essen keine Wurst“. Dann bereitete meine Schwester einen Eierkuchen und stellte den vor. H. sagte: „Wir essen keine Eier“. Schließlich erhielten sie Kaffee mit Butterbrot, was sie zu sich nahmen, als ob Milch und Butter nicht auch vom Vieh wären. Herr H. war Adventist der strengsten Observanz, die Knochen konnte man ihm durch die Haut zählen. Wie streng er gegen sich, ist er auch in seinem Urteil gegen andere. Da ich ihm Verständnis in der Kunst zutraute, ging ich mit ihm zur Kirche auf das Gerüst. Er sah sich einige Bilder an und sagte: „Wenn man es nicht besser machen kann, sollte man die Finger davon lassen“. Wir kamen zu dem Bilde, auf welchem die Frauen und Mädchen dem David singend entgegen gehen, auf welchem auch ein kleineres Kind springend dargestellt ist; von dem Faltenwurf dieses Figürchens sagte er: „Das ist ja geradezu hässlich“.


Großartige Komplimente! - Aus diesem Tadel machte ich mir aber wenig, weil ich ihn für angebracht hielt und etwas lernen wollte. Daher führte ich ihn Montags vormittags wieder in die Kirche. Er zeigte sich nun bereit, mir ein Beispiel zu geben, wie man malen müsse. Er suchte sich eine Stelle aus, wohin man nicht sehen konnte und fragte mich nach einer Vorlage. Im Pfarrhaus gab ich ihm ein Blatt aus dem großen Werk von Clement, darstellend eine Zwickelfigur aus der St. Maria Lyskirchen, einen Bischof mit Mitra. Dreimal musste er die Figur auf Papier zeichnen, ehe sie einigermaßen richtig war, dann zog er ein Quadratnetz darüber und übertrug nachmittags die Figur unter Vergrößerung des Quadratnetzes auf die Wand in der Kirche. In einem Zehntel der Zeit hätte ich die Figur auch hingezeichnet gehabt, ohne jedes Hilfsmittel. Dann kam die Malerei mit Farben; außer mir half auch mein Schüler Thormann, denn hier galt es, etwas zu lernen. Der Kopf mit der Mitra war etwa 1 Meter hoch, die Finger hatten die Dicke eines Schwartenmagens, der Bauch musste wegbleiben wegen Platzmangels. – Das war also unser Vorbild! – Da der Herr sich anderen Tages empfehlen wollte, legten wir die Gerüstbretter beiseite, dass man die Figur auch von unten sehen konnte. Ich ging nun nochmals mit ihm in die Kirche. Als er nun seine Arbeit sah, schämte er sich und sagte: „Ich habe mich getäuscht, arbeiten Sie weiter wie bisher.“


Ja, kritisieren ist leicht, besser machen - schwer.


Sechs Wochen später sah ich im Thorwaldsen-Museum in Kopenhagen eine springende weibliche Figur, deren Kleid genau dieselben Falten zeigte wie die des Kindes in der Eschfelder Kirche. Die Falten hatte ich eben nach der Natur studiert, wie auch Thorwaldsen es offenbar gemacht hatte.


An einem Nachmittag kam ein Bergmann aus Neunkirchen mit seiner Frau die Kirchenmalerei in Wiebelskirchen zu besehen. Da der Mann einen sehr schönen Bart hatte und ich zufällig unten war, ging er auf mein Bitten mit in die Sakristei, wo ich seinen Kopf zeichnete. Dabei sagte er: „Sie haben hier eine großartige Arbeit geleistet.“ Darauf sagte ich: Gefällt die Malerei Ihnen? Es werden aber noch manche sein, denen sie nicht gefällt“. Darauf sagte der schlichte Bergmann: „Es so zu machen, dass es allen gefällt, das bringt unser Herrgott noch nicht einmal fertig“.


In der neuen Pinakothek in München hängt ein Gemälde von A. Feuerbach betitelt: Die Kunstkritiker. Vor einem Gemälde, dass man selbst nur stückweise von der Rückseite sieht, haben viele Kritiker Platz genommen; alle schauen auf das Gemälde mit bedeutender, aber jeder mit verschiedener Miene, und alle sind – Affen.


Oft höre ich die Frage: Aber wie kann denn einer malen, der keine Kunstschule besucht hat?


Antwort:
Der größte deutsche Maler des letzten Jahrhunderts war der kleine Adolf von Menzel. Die ersten Professoren beugten sich vor ihm und änderten auf seine Ansicht hin ihre Arbeiten. Dies hat mir ein Maler erzählt, der dabei war. Eine Schule hatte Menzel nicht besucht.
Zu dem gewaltigen Piloty in München (gefangene Germanen im Triumphzug in der neuen Pinakothek) kam eines Tages aus fernen Landen ein Kunstjünger mit der Bitte sein Schüler werden zu dürfen. Piloty entließ ihn mit den Worten: „Besuchen Sie keine Schule und keinen Professor, studieren Sie nach der Natur“.
Professor Waldmüller sagte später von sich, dass er das von anderen Eingeprägte vergessen und nun doch nach der Natur lernen müsse.


Dieser Beispiele gibt es Hunderte. Jedenfalls bewahrt der Autodidakt seine Eigenheit und macht die Augen überall auf, um etwas zu lernen. Um aber nicht einseitig zu werden, habe ich an unseren Akademien jährlich mehrere Wochen Unterricht genommen und auf Reisen viel gezeichnet.